Der Titel zeigt die Idee, nach der wir in unserem SinnGarten vorgehen. Wir geben Impulse, die uns als sinnvoll erscheinen. So als würden wir einem Bekannten auf der Straße ein "Grüß Gott - wie geht's?!" zuwerfen. Und dann hängt es von der Antwort dieses Bekannten ab, wie die Begegnung weitergeht. Entweder kommt ein "Hallojaistdasschönhableiderkeinezeit - biszumnächstenmal" - das war's. Oder er bleibt stehen und ein Gespräch beginnt.
Einen solchen Dialog führen wir mit der Natur (und das ist kein bisschen esoterisch gemeint!): Wir geben einen Impuls und schauen, wie die Reaktion ist. Unser nächster Impuls baut dann darauf auf. Geben wir die richtigen Impulse, werden die Reaktionen kräftiger (zum Beispiel das Wachstum eines Baumes).
Nun rede ich so generalisierend von "der Natur" - als würde die ganze Natur antworten! Nein, es sind immer nur bestimmte Elemente, die miteinander zusammenhängen und dann reagieren. Dieses Denken nennt sich Systemtheorie - auf dieser Seite möchte ich sie etwas erklären.
(Hinweis für Personen, die Gedanken der Systemtheorie kennen: Ich beziehe mich hier auf die naturwissenschaftliche Systemtheorie nach Mario Bunge, für die soziale Arbeit formuliert von Staub-Bernasconi, Obrecht, u.a. . In der sozialen Arbeit in Deutschland ist eine davon abweichende Systemtheorie nach Niklas Luhmann verbreitet. Sie unterscheiden sich in wesentlichen Punkten – mehr dazu bei Bedarf im persönlichen Austausch. Auf www.knappweb.de finden sich unter "Texte" mehrere Artikel, die die Unterschiede der Sichtweisen darstellen.)
Von einem System spreche ich, wenn verschiedene Dinge miteinander zusammenhängen, indem sie in bestimmter Weise miteinander interagieren, während andere Dinge drumherum nicht reagieren.
Das kann unser Hunderudel sein, das durch den Garten tollt, und die Drei wissen genau, wer zu diesem Spiel dazugehört, während dieses Spiel und diese Drei den Vögeln in der Haselhecke "wurscht" sind und ebenso der Steinplatte am Teich.
Dasselbe lässt sich ein paar Nummern größer darstellen: Merkur, Venus, Erde, Mars, ... hängen miteinander zusammen und beeinflussen sich gegenseitig, weil sie Planeten unseres Sonnensystems sind, das irgendwo hinter Neptun endet. "Und die Galaxie ...?" Richtig, die ist das "größere Ganze", von dem unser Sonnensystem ein Teil, ein Subsystem ist. So sind Systeme immer verschachtelt: die Galaxie ist Teil eines Galaxienhaufens, der ist Teil eines Filaments und das ist Teil ... - der Unendlichkeit.
Oder spiele dasselbe mit Dir und der Menschheit durch: Du bildest mit Deiner (engeren) Familie ein System, das ein Subsystem einer Großfamilie ist, die ein Subsystem einer Sippe ... einer Gemeinschaft ... einer Gesellschaft ... einer Kultur ... ist. Das meint man mit sozialen Systemen (und natürlich auch spezielle Formen wie Gruppen, Vereine, Berufsverbände, ...).
Spannend sind immer die Grenzen, an denen sich Systeme berühren: Elemente des einen Systems treten in Wechselwirkung mit Elementen des anderen. Das merkst Du sofort, wenn Ausländer in Deinen Wohnblock ziehen, zum Beispiel Schweizer: Wenn ihr euch begegnet, bemerkst Du die Systemgrenze, denn das "Grüezi" irritiert.
Spanische Freunde erklärten mir, warum sie anfänglich Probleme hatten, mich einzuschätzen: Ja, wir Deutsche schauen anders, lächeln in anderen Situationen, benehmen uns anders im Aufzug und in der Kneipe und in der Boutique - wir sind schon komische Leute (in Spanien). Warum wir andere immer wieder als "komisch" empfinden (und das dann noch komischer interpretieren), erforschen Sozialwissenschaftler - und manche Ergebnisse sind "echt irre".
Systemgrenzen im Garten sind oft eindeutig: Da der Weg - rechts Büsche und hohes Gras. Klare Grenze kann man gut sehen und einhalten: drum bauen Menschen gerne Mauern - zwischen sich und anderen, aber (und das ist unser Thema) auch im Garten. Links ist eine lose gesetzte Mauer (Dachpfannen von Nachbars Scheunenumbau) als Grenze zwischen Fußweg und Heckenbiotop - und für beides gelten unterschiedliche Bedingungen und die Mauer verhindert, dass Hecke und Fußweg zu sehr interagieren. Unter den Hecken wächst zum Beispiel kaum noch Gras. Ein klarer Schnitt.
Anders am Teich, wo fließende Übergänge sind. Mal sind Gras und Kräuter auf dem Vormarsch in den Teich, seltener andersherum. Oder es gibt vertikale Grenzen: Vögel scheinen Hecken nur zu mögen, wenn sie über 2 Meter hoch sind (und entsprechend dicht). Was musst Du also tun, wenn Dein Teich verlandet oder Du Vögel im Garten haben willst?
Entdecke die Unterschiede
Es fällt schwer, sich an alle Details zu erinnern! Ich wüsste nicht mehr, dass wir mit 3-jährigen Pappeln 100 % Ausfall hatten, dass wir mit Berberitzen wenig Erfolg hatten, dass Kirschen-Wurzeltriebe nicht, aber Sämlinge gut zu verpflanzen sind.
Heute ist die Zufahrt in unseren Garten eingerahmt von Aprikose, Mirabelle und Robinie und führt auf eine große Walnuss zu, dahinter ahnt man weitere Bäume. 2012 war alles eine einzige Wiese. 2014 haben wir die Walnuß (150 cm hoch, eine Ausnahme, weil wir eher kleinere Gehölze setzten) gepflanzt, seit 2018 gibt sie immer mehr Nüsse.
Ich könnte mir all diese Details nicht merken, schon gar nicht bei der Größe des Grundstücks. Ich würde also die (zunächst kleinen) "Antworten" der Natur auf meine Impulse glatt übersehen. Aber wir Menschen haben ein Gegenmittel erfunden: Erfahrungen bündeln wir zu Regeln. (Und wenn wir solche Regeln weitergeben, formulieren wir oft: „Man macht …“ – merke dir das mal bis zum 2. Kapitel!)
Aber diese Regeln sind ja zunächst nur "Merksätze" in meinem Kopf und ich muss immer wieder mal prüfen, ob die Realität im Garten so ist, wie ich sie mir denke ("Die Landkarte ist nicht die Landschaft", Bateson). Also gehe ich nüchtern und auf der Basis von Fakten in unserem Garten vor; ich begleite seine Entwicklung mit Excel-Auswertungen; die Anlage folgt einem Plan, jede Pflanze hat einen wohl überlegten Standort, jedes Pflanzloch folgt einem Raster.
Die Pflanzung ist - so natürlich sie auch wirkt - in Linien angelegt, genauer: in Rauten, deren Spitzen in die Hauptwindrichtung zeigen, also den Wind brechen. Diese Formation sieht man auch bei vielen Zugvögeln, die damit kleine Unterschiede in der Luftströmung nutzen, um in der Summe als Schwarm energiesparend ans Ziel zu kommen. In diesem Sinne sind der Vogelzug und die Pflanzreihen in unserem Garten ein weiteres Beispiel für Selbstähnlichkeit in der Struktur komplexer Systeme.
Jährliche Auswertungen zeigen, was so ist, wie ich es mir denke, oder wo "der Wurm drin" ist. Und warum dieser Aufwand? Wenn ich Impulse gebe und mich in Geduld übe, will ich nicht die "Antworten" übersehen. Und: Weil ich einfach neugierig bin.
Es beginnt im Kleinen
Die letzten beiden Fragen haben Dich vielleicht darauf gebracht: Wenn Du einen wahrscheinlichen Zusammenhang erkennst, kannst Du der Natur einen Impuls geben - wenn es so ist, wie Du denkst, wirst du Auswirkungen sehen (und nicht immer nur die erwünschten). Das geht nicht von heute auf morgen - du brauchst Geduld.
Das hat damit zu tun, dass in der Natur selten etwas "mit einem Ruck" passiert, sondern sich in Kreisen, Spiralen oder Wellen (das sind alles Metaphern fürs gleiche Phänomen) entwickelt: Durch Wiederholungen ("Iterationen") von immer demselben werden die Auswirkungen von kleinen Vorgängen immer größer, zuletzt riesengroß. Und in diesem Prozess gibt es beobachtbare Stellen – „Kipppunkte“ - , ab denen das Rad der Zeit nicht mehr zurückgedreht werden kann: der Zustand „vor“ dieser Weichenstellung ist nicht wieder herstellbar, der Prozess ist irreversibel. (Ja, richtig: davon spricht man oft im Zusammenhang mit dem Klimawandel.)
Stelle Dir vor, ein ganz kleiner Baum habe im ersten Jahr 2 Zweige, im zweiten Jahr teilen sie sich und er hat 4 Zweige, im dritten Jahr teilen sie sich und er hat 8 Zweige, im vierten Jahr teilen sie sich und er hat 16 Zweige, ... - rechne bloß mal bis zum 10. Jahr! Drum brauchst Du Geduld. Das ist die Dynamik exponentiellen Wachstums (die der Baumfreund liebt und der Epidemiologe fürchtet).
Oben siehst Du eine Kastanie 2013: klein, ca 100 cm, ein paar Verzweigungen. Daneben 2020: groß, ca 5 m hoch - komm doch zum Zählen der Zweige vorbei! Oder komm in knapp 300 Jahren: Dann ist sie altersbedingt umgekippt – ganz wörtlich: sie hat einen irreversiblen Kipppunkt erreicht - diese Kastanie wird dann nie wieder hier stehen.
Oder verändere deinen Maßstab (in diesem Fall: die Zeit) und lasse 5000 Jahre im Zeitraffer vor- und zurücklaufen: Da sprießen kreuz und quer Bäume, wachsen, knicken, modern – grad so wie Gänseblümchen im Laufe eines Jahres in deiner Wiese. Die Änderung des Maßstabes „Zeit“ zeigt, wie ähnlich sich Strukturen im Kleinen und im Großen sind („Selbstähnlichkeit“, Mandelbrot). Wenn du beim Nordsee-Urlaub am Strand schaust, wie die Wellen deine Sandburg abtragen, verstehst du, warum die Kreidefelsen bei Dover jährlich zurückweichen – hier im Kleinen, dort im Großen, hier binnen Minuten, dort in Jahrtausenden: nur der Maßstab ist ein anderer, die Prozesse ähnlich.
Zudem ist ein Garten ein komplexes System mit vielen Variablen und Wechselwirkungen. Das ist anders als die einzelne Pflanze auf dem Fenstersims. Dort gilt: kein Wasser = kein Wachstum. In einem Garten kommen viele andere Faktoren dazu: Licht und Schatten, Wurzelform und die Wurzeln anderer Gehölze, Bodenbeschaffenheit, ph-Wert, umstehende Gehölze, Insekten, Krankheiten, Wind, Unwetter, ...
Und (ohne Dir nahetreten zu wollen) wir sind einfach zu dumm, um alle Faktoren in unser Handeln einzubeziehen. Wenn Du möchtest, kannst Du Dir – in anderen Begrifflichkeiten - unser Vorgehen vorstellen als Erfahrungslernen mit kleinen Schritten durch "Versuch und Irrtum" und ständiges "Nachjustieren" (Fachbegriff Inkrementialismus).
Auch Du bist ein System, ein bio-psycho-sozio-kulturelles System zu einer bestimmten Zeit (und damit sind auch schon die Subsysteme genannt, die in Dir interagieren und zu einer unverwechselbaren Individualität beitragen).
Das hat Auswirkungen. Auch auf Deinen Garten. Mache Dir das bewusst! Wenn Du im mittleren Alter eine Immobilie mit Garten kaufst, dann richte Dir und Deiner Familie ein schönes Haus, baue und handwerke, bis es Euch gefällt - und dann ist der Garten dran. Bist Du aber schon - wie wir damals - Mitte Fünfzig, dann fange sofort im Garten an, wenn Du ihn noch genießen willst - für Verschönerungen im Haus hat es im Winter Zeit. Vergiß nicht: Du brauchst Geduld, also Zeit - und die Natur hat mehr Zeit als Du.
Vor allem in einem großen Garten zeigt es Dir Deinen Platz: Du bist Teil von alledem, Du wächst mit und entwickelst Dich und alles um Dich her hat seine Berechtigung in Deinem Garten - begegne ihm mit Wertschätzung ("Ehrfurcht vor dem Leben", Schweitzer). Du wirst merken, dass Du Teil von etwas Größerem bist, das weit über Dich hinausreicht - und Dich mitnimmt.
Wenn Du mehr über christlich-systemisches Denken erfahren möch-test: Auf meiner Homepage gibt es auch dazu Texte: www.knappweb.de
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